Die Pionierin im ewigen Eis by Agnes Imhof

Die Pionierin im ewigen Eis by Agnes Imhof

Autor:Agnes Imhof [Imhof, Agnes]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2023-01-25T23:00:00+00:00


Kapitel 17

Der Frühling kam langsam, aber unnachgiebig. Mit sanfter Bestimmtheit setzte er sich gegen den widerstrebenden Winter durch, brachte Sonnentage und erlitt wieder Rückschläge mit Regen und Schnee. An schönen Tagen erledigten die Frauen ihre Näharbeit auf dem nur leicht geneigten Dach von Josephines Haus, wo sie viel von der lebensnotwendigen Sonne abbekamen. Die Kinder legten sie nackt auf Felle und ließen sie dort spielen. Immer wieder hörte man ihr Lachen. Das Leben kam zurück.

Anadore sprang in den Pfützen herum und bespritzte sich mit Wasser. Die Fellkleidung hielt es ab, sie war wie das Ölzeug, das Matrosen trugen. Und eines Tages entdeckte Josephine das erste winzige gelbe Blümchen aus dem Schnee ragen.

»Der Sommer kommt«, meinte Bert, als sie es hereinbrachte. »Zeit für mich aufzubrechen.« Er bemerkte ihren Blick und meinte: »Wir könnten doch vorher noch einen Jagdausflug machen, was denkst du? Solange wir hier an der Küste noch Schnee haben, könnten wir danach mit dem Schlitten ein Stück nach Norden fahren.«

Arnakittoq kam mit, sie wollte Verwandte besuchen, und auch Kyo und seine Familie waren dabei. Die Fahrt über das kristallklare Wasser war wunderschön. Die See war ruhig heute, und die bleiche, niemals untergehende Sonne tauchte die Eisberge in einen milchigen Schimmer. Die Schreie zahlloser Vögel erfüllten die Luft, vermutlich hatte die Flut Muscheln und Tang an den Strand gespült, und sie suchten dort nach Essbarem. Tief unter ihnen im Wasser schimmerten die Felsen und Kiesel, zuerst gläsern, dann in einem immer unwirklicheren Blau, bis sie sich auflösten wie eine geheimnisvolle Stadt in der Tiefe.

Pfeilschnell flogen Möwen über den Himmel, stürzten sich hinab und kamen, Silberperlen in einem breiten Streifen hinter sich versprühend, wieder hoch. Entenschwärme flatterten an ihnen vorbei, das Schlagen der unzähligen Flügel war laut wie eine Maschine. Als sie weiter aufs offene Meer hinausruderten, glitten die schlanken Körper von Robben unter ihnen durchs Wasser.

Josephines Hand wurde leicht feucht vor Aufregung, als sie sich um das Gewehr klammerte. Es war warm genug, um ohne Handschuhe auszukommen, und sie spürte das glatte Holz des Kolbens unter ihren Fingern. In der bleichen Sonne glänzte der Lauf. Noch war alles so still, so friedlich.

»Wir kommen jetzt in das Gebiet der Walrosse«, sagte Arnakittoq. »Reizen Sie sie nicht mit unnötigem Herumschießen. Ein, zwei zielgerichtete Kugeln, mehr nicht, sonst haben Sie die ganze Herde auf dem Hals.«

Josephines Herz schlug schneller, als sie sich der Eisscholle näherten, auf der die Tiere lagen. Das ist eine ganze Herde!, dachte sie atemlos. Wie viele mögen das sein? Zehn? Zwanzig? Die riesigen Körper waren schwer, und das Brüllen aus den Mäulern mit den riesigen, Furcht einflößenden Zähnen war beeindruckend. Die faltige Haut hatte fast dieselbe Farbe wie die Felsen, und wenn sie schwerfällig ein Stück über den Stein robbten, wirkte es, als fange die ganze Landschaft an zu leben.

Sie blickte zu den Männern. Bert lächelte nervös und leckte sich die Lippen unter dem Bart. Seine Finger umklammerten das Gewehr, tasteten unruhig nach dem Abzug. Auch Cook hatte sich etwas aufgerichtet und grinste.

»Da ist für jeden von uns genug!«, flüsterte er.



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